VEE-Brandbrief zum Ausbau der Windenergie in Sachsen

Montag, 08. November 2021 - 07:00
VEE Sachsen e.V.

< Mitschnitt der Pressekonferenz >


VEE-Brandbrief zum Ausbau der Windenergie in Sachsen

Zunehmende Verhinderung von Windenergieprojekten durch kommunale Planung

 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmer,

 

heute wenden wir uns mit einem dringenden Anliegen an Sie. Es geht nicht nur um die Frage des Klimaschutzes, sondern auch um die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit mit bezahlbarer Energie für Bürger und Industrie und der Attraktivität Sachsens als Industriestandort.

 

In Sachsen stagniert der Ausbau der Windenergienutzung seit Jahren. Man kann sogar von einem Rückbau der Windenergie in Sachsen sprechen, wurden doch im ersten Halbjahr zwölf Windenergieanlagen abgebaut, aber keine einzige errichtet. Dies gefährdet bereits zum jetzigen Zeitpunkt die Ziele des am 1. Juni 2021 beschlossenen Energie- und Klimaprogrammes Sachsen (EKP 2021). Denn im EKP 2021 wurde auch der Ausbau der Erzeugung und Nutzung Erneuerbarer Energien für den Zeitraum bis 2030 als strategischer Schwerpunkt bestimmt. Es bedarf daher einer sofortigen Kehrtwende im Umgang mit Erneuerbare-Energien-Projekten in Sachsen und insbesondere in der Genehmigungspraxis. Positive Beiträge hierfür sind gegeben, so ist beispielsweise der sich derzeit noch im Entwurf befindliche Artenschutzleitfaden zu nennen. Aber dies genügt noch nicht.

 

Wir als VEE Sachsen e.V. wenden uns heute an Sie, um über ein in diesem Zusammenhang dringendes und für den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Sachsen und damit auch der Erreichung der Ziele des EKP 2021 existenzielles Anliegen zu sprechen.

 

In Sachsen zeichnet sich eine zunehmende Abwehrhaltung der Kommunen gegen Windenergieprojekte auf dem eigenen Gemeindegebiet und damit einhergehend planerische Bestrebungen ab, entsprechende Windenergieprojekte auf dem eigenen Gemeindegebiet zu unterbinden.

Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass teilweise geltende Regionalpläne entsprechende Flächen für die Windenergienutzung an diesen Stellen ausweisen. Der VEE Sachsen e.V. hält diese Entwicklungen insbesondere im Sinne des erforderlichen Ausbaus der Erneuerbaren zur Erreichung der Klimaziele für äußerst problematisch.

 

I. Zunehmende Verhinderungspraxis auf kommunaler Ebene

 

Uns ist es ein Anliegen, Ihnen diese Entwicklung an einigen Beispielen aus der Genehmigungspraxis aufzuzeigen. Diese Beispiele haben uns unsere Mitglieder in den letzten Monaten aus ganz Sachsen gemeldet. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass es eine kommunale Planungspraxis in Sachsen gibt, die ganz offensichtlich darauf gerichtet sind, die Windenergienutzung in den jeweiligen Gemeindegebieten zu verhindern.

 

Dabei lassen sich insgesamt drei Fallgruppen unterscheiden:

 

  1. Verhinderungsplanung innerhalb von in Aufstellung befindlichen Vorrang- und Eignungsgebieten

So stellt zum Beispiel die Gemeinde Amtsberg aus dem Erzgebirgskreis einen Bebauungsplan auf, um innerhalb eines geplanten Windeignungsgebietes des in Aufstellung befindlichen Regionalplans des Planungsverband Region Chemnitz eine Freihaltefläche mit Schutzabständen zu schaffen. Es soll damit eine Fläche geschaffen werden, die von jeglicher Bebauung freigehalten werden soll. Gleichzeitig soll innerhalb dieser Freihaltefläche nach der Planungsabsicht der Gemeinde allerdings auch ein Wasserhochbehälter errichtet werden, was zeigt, dass die Freihaltefläche nur eine vorgeschobene Planung ist. Schließlich ist in einem weiteren, angrenzenden Bebauungsplan die Erweiterung eines Wohngebietes vorgesehen, wodurch die Windenergienutzung innerhalb der geplanten Fläche wegen der notwendigen Einhaltung von 1.000m Abstand zur Wohnbebauung regionalplanerisch unmöglich gemacht wird. Und dies, obwohl die Gemeinde seit Jahren von Wegzug betroffen ist und damit stetig kleiner wird. Es gibt damit überhaupt keinen Bedarf für die Erweiterung des Wohngebietes. Beide Planungen werden mit einer Veränderungssperre gesichert, die dazu führt, dass das der Gemeinde bekannte und bereits weit fortgeschrittene Vorhaben für vier Windenergieanlagen nicht abgeschlossen werden kann.

 

Die Gemeinde Neukirchen, ebenfalls Erzgebirgskreis, hat mit der Aufstellung eines Bebauungsplans die Festsetzung eines Friedwaldes beschlossen. Dabei übersteigt die Größe des Friedwaldes bzw. seine Kapazitäten den gemeindlichen Bedarf ebenfalls um Größenordnungen. In das Plangebiet wurden auch landwirtschaftliche Flächen einbezogen. Auf einer von diesen Flächen ist eine Windenergieanlage geplant und bereits beantragt. Auch diese Planung wurde mit einer Veränderungssperre gesichert, sodass das für diese Windenergieanlage laufende Genehmigungsverfahren nun ausgesetzt werden musste.

 

Beispielhaft genannt sei hier auch die Stadt Pockau-Lengefeld, die einen Aufstellungsbeschluss für ein Gewerbegebiet und eine entsprechende Veränderungssperre auf einem seit 2015 in Planung befindlichen Vorrangstandort für zwei Windkraftanlagen gefasst hat. Im Anschluss wurde die Planung des Gewerbegebiets aber seit etwa zwei Jahren schlichtweg nicht weiter betrieben. Versuche der Projektierer, auf die Stadt zuzugehen, um etwa ein Neben-/Miteinander von gewerblicher Nutzung und Windkraftnutzung vorzuschlagen, sind darüber hinaus auf Ablehnung gestoßen bzw. wurden nicht positiv aufgenommen. 

 

Eine weitere Gemeinde, die Gemeinde Bobritzsch-Hilbersdorf, hat innerhalb eines von der Regionalplanung geplanten Windeignungsgebietes ein Sondergebiet für Photovoltaik sowie eine Gewerbeflächenerweiterung im Flächennutzungsplan ausgewiesen. Auch hier ist ein entsprechender Bedarf für die vorgesehene Nutzung der Flächen in keiner Weise nachvollziehbar und führt zur Vereitelung der Windenergienutzung in dem Eignungsgebiet. Das Sondergebiet für Photovoltaik wurde ausgewiesen obwohl die Fläche für die PV technisch ungeeignet ist und sich die Eigentümer klar zur Nutzung der Windenergie ausgesprochen haben. Aus Gesprächen mit dem Bürgermeister der Gemeinde ging hervor, dass ein zusätzlicher Ausbau der Erneuerbaren Energien über die bestehenden Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen hinaus tatsächlich gar nicht gewünscht ist. Damit erweist sich das Photovoltaik-Projekt lediglich als ein Mittel zur Verhinderung der Windenergienutzung.

 

  1. Verhinderungsplanung innerhalb bereits ausgewiesener Vorrang- und Eignungsgebiete

Aber auch regionalplanerisch verbindlich ausgewiesene Vorrang- und Eignungsgebiete werden durch die Gemeinden mit B-Plan-Aufstellungen belegt und dadurch laufende Genehmigungsverfahren massiv verzögert bzw. ausgeschlossen. So versucht die Gemeinde Klipphausen einen innerhalb eines Vorrang- und Eignungsgebietes liegenden bauplanungsrechtlich genehmigungsfähigen Standort für Windenergieanlagen zu überplanen. Nach derzeitigem Planentwurf der Gemeinde soll an einem bereits beantragten Windenergieanlagenstandort kein Baufenster, sondern eine Fläche für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen festgesetzt werden. Eine Windenergienutzung wird dann nicht mehr möglich sein.

 

  1. Verstoß gegen das Neutralitätsgebot

Schließlich ist auf das Handeln der Gemeinde Oederan in Sachsen hinzuweisen. Auf der Internetpräsenz  informiert die Gemeinde ihre Bürgerinnen und Bürger darüber, dass durch den Stadtrat derzeit kein Standort für die Errichtung von Windenergieanlagen im Gemeindegebiet befürwortet werden kann. Zugleich verweist die Gemeinde auf der eigenen Internetpräsenz auf zwei in der Gemeinde gegründete Bürgerinitiativen gegen die Errichtung von Windenergieanlagen, die sich „parallel zu den Bemühungen von Stadtrat und Stadtverwaltung“ formiert hätten (unter Nennung von Kontaktdaten und Ansprechpartnern). Die Gemeinde bietet damit auf ihrer Internetpräsenz Windkraftgegnern eine Plattform. Schließlich nutzt der Bürgermeister der Gemeinde Oederan einschlägige soziale Medien und das Amtsblatt der Gemeinde, um die Bürgerinnen und Bürger aufzufordern, ihr Votum für oder gegen die Windenergie abzugeben und damit den Windkraftgegnern in der Gemeinde eine Stimme zu verleihen. Er spricht im Amtsblatt davon, die Stadt sei dem „Antrags-Wildwuchs der Windkraftplaner ausgeliefert“.

 

II. Keine Gesprächsbereitschaft seitens der Gemeinden

 

Die benannten Beispiele – diese Liste könnte noch fortgeführt werden - bestätigen dabei den aus der Presse und den Meldungen unserer Mitglieder entstandenen Eindruck, dass vermehrt entweder bereits ausgewiesene oder geplanten Windeignungsgebiete in den Regionen, in denen derzeit kein geltender Regionalplan existiert, durch die kommunale Planung für die Windenergienutzung gesperrt werden. Und dies zumeist mit kommunalen Planungen, denen es an der nach § 1 Abs. 3 BauGB vorgeschriebenen städtebaulichen Erforderlichkeit fehlt. Dies führt von geplanten Friedwäldern, deren Größe die Einwohnerzahl der umliegenden Gemeinden bei weitem übersteigt, hin zur Ausweisung von Gewerbe- und Wohngebieten, die ebenfalls außer Verhältnis zum konkreten Bedarf vor Ort stehen.

 

Die genannten Beispiele sind dabei nur die „Spitze des Eisbergs“. Einige unserer Mitglieder berichteten von ähnlichen Erfahrungen bei der Realisierung von Windenergieprojekten in Sachsen, wollten allerdings im Rahmen der Umfrage keine konkreten Beispiele nennen, um derzeit laufende Gespräche nicht zu gefährden.

 

Allein die hier genannten Vorhaben umfassen 22 Windenergieanlagen, welche durch die gemeindlichen Planungen komplett ausgeschlossen werden.


Dies entspricht rund 110 MW installierte Leistung und einem Investitionsvolumen von rund 140 Millionen Euro.

 

Es stellte sich dabei ebenfalls heraus, dass die Gesprächsbereitschaft seitens der Projektgesellschaften mit den Gemeinden entweder unbeantwortet blieb oder zu keinem Ergebnis führte.

 

Mit anderen Worten: Die Fronten sind verhärtet. Oft kommunizierten die Gemeinden gegenüber den Projektierern klar, dass die Windenergienutzung im Gemeindegebiet nicht erwünscht ist. Dies wird auch angesichts der Stellungnahmen von Gemeinden in den Verfahren zur Regionalplanfortschreibung deutlich, in denen sich gehäuft gegen die Ausweisung von Windeignungsflächen auf dem eigenen Gemeindegebiet positioniert wird.

 

Diese bedauerlichen Entwicklungen und Erkenntnisse müssen „erst recht“ zum Anlass genommen werden, auf diejenigen Gemeinden zuzugehen, die sich positiv zu einem tatsächlichen Ausbau der Windenergie (auf ihrem Gemeindegebiet) positionieren und für entsprechende bauleitplanerischen Grundlagen sorgen wollen. Diesen Gemeinden muss Unterstützung angeboten werden, etwa indem ihnen Planungsalternativen auch außerhalb der regionalplanerischen Flächenkulissen eröffnet werden (Öffnungsklauseln in den Raumordnungsplänen zugunsten der Kommunen). So wurde etwa in Rheinland-Pfalz verfahren, wo für Gemeinden in einem bestimmten Umfang durch eine Öffnungsklausel im Regionalplan bzw. im Landesentwicklungsplan die Möglichkeit einer entsprechenden Flächenausweisung auch jenseits eines Vorrang- und Eignungsgebietes geschaffen wurde. Dies führt auch nicht dazu, dass Flächen „ungeprüft“ für die Windenergienutzung freigegeben werden, denn die Gemeinden haben im Rahmen der Bauleitplanung in jedem Falle eine umfassende Abwägung der privaten und öffentlichen Belange vorzunehmen. 

 

III. Dringender Handlungsbedarf zur Erreichung klimapolitischer Ziele

Die geschilderten Situationen zeigen deutlich auf, dass es dringenden Handlungsbedarf seitens der Politik gibt, um den Ausbau der Windenergienutzung in Sachsen voranzutreiben, bzw. um überhaupt einen Zubau zu generieren.  Die Ziele des erst kürzlich veröffentlichten EKP 2021 dürfen nicht bereits kurz nach seiner Beschlussfassung aus dem Blick verloren werden.

 

Den Genehmigungsbehörden muss noch einmal deutliche Unterstützung zugesichert und sie darin bestärkt werden, rechtswidrige und nur der Verhinderungsplanung dienende Bebauungspläne nicht anzuwenden.  Wir sehen daher dringenden Handlungsbedarf aller durch den Ausbau der Windenergie berührten Ministerien.

 

Wir befürworten die Ausarbeitung eines Erlasses, der sich an die Genehmigungsbehörden richtet und diesen die entsprechenden Kompetenzen zur Nichtanwendung von rechtswidrigen Bebauungsplänen bei der Zulassung von Windenergievorhaben erteilt (Verwerfungskompetenz in offensichtlichen Fällen).

Nur so kann den Genehmigungsbehörden die erforderliche Handlungssicherheit vermittelt werden. Den Genehmigungsbehörden in Sachsen sind ansonsten bei der Erteilung von Genehmigungen für Windenergievorhaben sprichwörtlich „die Hände gebunden“, obwohl allen Beteiligten die Umstände des konkreten Einzelfalls und insbesondere die ausdrückliche Absicht der Gemeinden zur Verhinderung der Windenergieprojekte bekannt sind.

 

Schließlich bedarf auch ein weiterer Bereich klare Regelungen: Die Kommunalaufsichtsbehörden müssen sensibilisiert werden, bei der Genehmigung von Bauleitplänen vermehrt auf die Unzulässigkeit von Bauleitplänen wegen ausschließlicher Verhinderungsplanung zu achten und in diesen Fällen strikt durchzugreifen. 

 

Auch die Regionalplanung sollte gehalten sein, die Ernsthaftigkeit von kommunalen Planungsabsichten im Einzelfall zu überprüfen und diese nicht ungeprüft als Tabubereich (etwa im Sinne einer wegen Einhaltung von Mindestabständen gesperrten Fläche) für Windenergiepotentialflächen zugrunde legen.

 

Schließlich wird angeregt, auch in Sachsen vermehrt auf Aufklärungsarbeit zu setzen und beispielsweise die Angebote der Sächsischen Energieagentur GmbH (SAENA) insbesondere in ländlichen Regionen auszubauen. Aufklärungsarbeit kann und muss insbesondere zur finanziellen lokalen Wertschöpfung (z.B. kommunale Abgabe nach EEG 2021, Pachtzahlungen, Gewerbesteuer), zu Standortvorteilen für kommunale Gewerbegebiete (dezentrale erneuerbare Stromerzeugung vor Ort als Ansiedlungsfaktor) sowie sachliche Informationen zu „Wirkfaktoren“ von Windenergieanlagen geleistet werden (Infraschall, Betriebsdauer und Rückbau, Bauhöhenentwicklung).

 

Zudem bedarf es zwingend eines Ausbaus einer Dialogplattform für die Realisierung von Erneuerbare-Energien-Projekte, um Projektierer und Gemeinden an einen Tisch zu bringen und bei Konflikten zu vermitteln.

 

Wir fordern daher:

 

  • Einen Erlass, der den Genehmigungsbehörden in Sachsen bei Verhinderungsplanungen die Möglichkeit gibt, diese nicht anzuwenden („Verwerfungskompetenz“)
  • Eine Sensibilisierung der Kommunalaufsicht für das Problem der Verhinderungsplanung auf Bauleitplanebene
  • Aufklärungsarbeit zu Wirkfaktoren, kommunalen Standortvorteilen und finanziellen Beteiligungsmöglichkeiten (nicht nur) in ländlichen Regionen
  • Eine Beratungs- und Dialogplattform für Projektierer und Gemeinden bei Konflikten

Letztlich fordern wir die Einberufung eines „runden Tisches“, der die Möglichkeit eröffnet, dass Projektierer und Ministerien die zentralen Probleme erörtern können und gemeinsam Lösungsansätze entwickeln. Hierbei ist von zentraler Bedeutung, dass der Windenergieausbau als ressortübergreifende Aufgabe verstanden und angegangen wird.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Andreas W. Poldrack
Geschäftsstellenleiter

 


Links